Wie Yoga hilft – Im Gespräch mit Cornelia Brammen

Die Frauen vom Verein Yoga Hilft stehen zusammen in einem großen, weißen Raum und tragen alle ein Vereins-Shirt

Klas Neidhardt für YOGAHILFT

Yoga hilft. Das hat Kundalini-Lehrerin Cornelia Brammen vor vielen Jahren erkannt und einen Verein gegründet, der eben diesen Namen trägt. Weil Yoga ihr helfen konnte, als sie es dringend brauchte. Und weil sie einen Bedarf sah, dass viele Menschen diese Hilfe brauchen könnten, gründete sie eben jenen Verein: YOGAHILFT e.V.

In Hamburg kennt man den Verein sicherlich vor allem von der Langen Nacht des Yoooga, die Conny ebenfalls erstmalig vor zehn Jahren initiiert hat. Zeit, sich mit dieser umtriebigen Frau zu unterhalten, über das, was sie da so sehr bewegt und warum ihr YOGAHILFT so ein dringendes Anliegen ist.

Wenn man mit Conny Brammen spricht, strömt einem ihr Engagement aus jeder Faser entgegen. Conny vibriert geradezu vor Tatkraft, Willensstärke und „Dafür finde ich jetzt auch noch eine Lösung“-Vibe. Und das braucht es auch, wenn man einen Verein gründet und führt, auf dem sehr engen Markt der sozialen Vereine, die sich komplett aus Spenden finanzieren und die um jeden Cent Fundraising kämpfen müssen. Der Bedarf an Geldern für soziale Zwecke ist riesig, und nicht jeder denkt zuerst an Yoga als Lösung bei traumatisierten Kindern oder der Gesundheitsfürsorge von betagten Menschen im Altersheim. Conny schon.

Auf dem Bild ist Conny Brammen, sie trägtt Brille und ein weißen Shirt

Klas Neidhardt für YOGAHILFT


junieundich: Conny, bitte umreiße doch kurz, wie es überhaupt zur Gründung von YOGAHILFT kam

Conny: Ich hatte Ende der 80er Jahre während des Studiums in Passau einen Schwangerschafts-Yogakurs absolviert und als ich vor einigen Jahren krank wurde, habe ich auf das dort gelernte Yoga zurückgegriffen. Ich war in einer Klinik, habe eine regelmäßige Yoga-Praxis aufgenommen und bin auch wieder zum Yoga-Unterricht gegangen. Meine Lehrerin hat mich dann auf die Idee gebracht, selber zu unterrichten. Obwohl ich voll berufstätige Mutter war und obwohl ich kaum vom Sofa hochkam, habe ich das dann auch gemacht.

Weil Yoga mir so viel Kraft dazu gab. Es hilft einfach aus tiefen Tälern, mir war aber schnell klar, dass ich nicht durch Yoga unterrichten mein Geld verdienen möchte. Aber da ist der Wunsch gereift, was ich dort erlebt habe, diese Kraft, dieses Wiedererstarken, an Menschen weiterzugeben, die nicht zum Lifestyle-Yoga gehen können. Das war praktisch die Initialzündung für Yoga für alle e.V. und YOGAHILFT sowie der Langen Nacht des Yoooga.

Der Aufbau und das Leiten eines Vereins benötigt viele Ressourcen. Hattest du überhaupt Ahnung von der Vereinsarbeit?

Ich hatte gar keine Ahnung von Vereinsgründung, das war das allerletzte, das ich mir hätte vorstellen können, dass ich mal einen Verein gründe! Dann haben wir aber immer Menschen gefragt. Wir haben Menschen gefragt, die sich auskennen, wie Norbert Aust, das ist ein ganz illustrer Typ in Hamburg, im Tourismus, der hat das Schmitz Tivoli gegründet, der ist super connected, der ist Anwalt und der hat die Lange Nacht des Theaters gegründet. Wir kannten uns über unsere Kinder und dann hat der mir erklärt, wie man einen Verein gründet. Also der Weg von Yoga für alle e.V. ist begleitet von Menschen, die jeweils in dem erforderlichen Fachgebiet eine unglaubliche Expertise haben. So haben wir dann mit sieben Leuten diesen Verein gegründet. Die Vereinsgründung war nicht schwer, schwieriger war es für Yoga, und für das, was wir vorhatten, die Gemeinnützigkeit anerkannt zu bekommen.

Ehrenamt darf bezahlt werden. Das ist ein Mythos, den alle Interessierten gerne führen, dass das Ehrenamt unentgeltlich sei. Viele Förder*innen, wie Stiftungen, die finanzieren nur Helfer*innen-Pauschalen von zehn Euro die Stunde. Da kannst Du einer hoch qualifizierten Yoga-Lehrer*in, die oder der im Sozialraum unterrichten soll, nicht mitkommen, das fände ich obszön.

Gleichzeitig muss man tierisch aufpassen, nicht irgendwas falsch zu machen. Deshalb braucht es bezahlte Expert*innen. Also das ist Verein! Und wenn ich Fehler mache, als Vorständin bin ich ja in der Haftung. Und zwar mit meinem persönlichen Vermögen.

Erkläre mir mal bitte euer PrÄVIG-Programm, das sich vorrangig an Schulen wendet, die in sogenannten Multiproblemlagen-Stadtteilen liegen

Vorneweg, bei uns ist es wichtig, unsere Werte an unsere Lehrer*innen zu vermitteln, wir haben verpflichtende Fortbildungen und sie müssen sich auch verpflichten, mindestens ein Jahr bei uns zu unterrichten, weil unsere Angebote immer mindestens 12 Monate laufen.

Wir dürfen kein einziges Kind mehr verlieren. Wir brauchen jedes Kind, und wir verlieren gerade ganze Generationen.

Aktuell dominiert im Förderbereich leider die Projekteritis. Gefördert wird nur, was neu, innerhalb von vier bis sechs Monaten abgeschlossen ist und es müssen möglichst viele Teilnehmende erreicht werden. Das sieht im Transparenzbericht toll aus. PrÄVIG läuft über ein Schuljahr in Gruppen von maximal 10 Kindern mit wöchentlich 30 Minuten Yoga pro Gruppe. Es ist auf Verstetigung, auf Nachhaltigkeit angelegt. Im besten Fall beginnt eine Schule mit der ersten Klasse und PrÄVIG begleitet die Kinder durch die gesamte Grundschule. Da sagen einige Stiftung: wie jetzt? Nur 10 Kinder? Aber da sage ich, wir dürfen kein einziges Kind mehr verlieren. Wir brauchen jedes Kind, und wir verlieren gerade ganze Generationen.

EIn Kind sitzt in der Schule auf einem Schreibpult und meditiert. Es trägt ein pinkes Shirt und schwarze Leggings.

Klas Neidhardt für YOGAHILFT

Das Schulsystem ist belastet, weil die Kinder so viele Bedürfnisse haben, und so ganz anders sind als früher, und dann heißt es so, der Kevin, der stört aber; oder die Celina, die weint ja nur. Alle bekommen dann ihr Ritalin und wir bekommen zu hören: Nach 15 Uhr brauchen wir mit PrÄVIG nicht anzufangen, dann hört die Wirkung des Ritalin auf. Und dann gehen die Kinder also wieder nachhause in ihre meist sehr herausfordernden Settings. 

Das Kollegium ist teilweise total überlastet und es gibt kaum Personal, speziell in den Stadtteilen mit Problemlage und dort brennen die Lehrkräfte wahnsinnig schnell aus.

Ich bin ja nicht naiv, natürlich weiß ich, dass 30 Minuten PrÄVIG pro Woche nicht das Allheilmittel sind. Aber wenn wir von der Schulleitung unterstützt werden und das gesamte Kollegium von uns geschult wird, dann geben wir den Erwachsenen, die ja Co-Regulation machen müssen, aber selber total am Anschlag sind, Werkzeuge an die Hand, die ihren Handlungsspielraum erweitern.

Wir haben eine Studie veröffentlicht, von einer Erziehungswissenschaftlerin des UKE. Die Studie hat ergeben, dass PrÄVIG Kinder und Lehrer*innen entlastet, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Wie schwer, oder wie einfach, ist es, geeignete Lehrer*innen für euch zu finden?

Wir sind im RBBZ Nord, der Jenfelder Kaffekanne und in der Fridtjof-Nansen-Schule, Standort Schnackenburgallee, einer Geflüchteten-Unterkunft. Da alleine brauchen wir schon vier bis fünf Lehrer*innen für acht Klassen. Pro Gruppe sind immer zwei PrÄVIG-Lehrer*innen anwesend, plus eine Vertrauensperson der Schule. Aber Kinderyogalehrer*innen mit freien Kapazitäten sind wirklich knapp.

Entweder sind sie gut gebucht und gehen in Schulen, wo die Eltern das selber finanzieren und zudem ist PrÄVIG sehr herausfordernd. Diese Kinder sind „durch“. Wenn es viel Fluktuation gibt an der Schule und das dann mit der Bindung nicht klappt, dann sind der/die PrÄVIG -Lehrer*innen manchmal die Einzigen, die sie anschreien können. Weil alle anderen nicht greifbar sind.

Deswegen muss ich als YOGAHILFT-Lehrer*in bereit sein, da hereinzugehen, aber auch bereit sein, mich zu melden, wenn ich struggle. Dafür haben wir Supervision, wir haben den Austausch mit anderen Lehrer*innen und das gibt Stabilität. Es ist auch ein zeitlicher Aufwand. Das geht nicht mit der Mentalität, „Ich muss Geld verdienen und dafür habe ich eigentlich keine Zeit“. Wenn die 40 € Übungsleiter*innen-Pauschale pro Stunde Überlebensnotwendig sind, dann geht das nicht. Weil dann der Impuls ein anderer ist. Die Motivation ist dann nicht, ich möchte wirklich was beitragen, sondern ich möchte Geld verdienen. Und dafür sind wir limitiert, wir müssen jeden Cent, den wir ausgeben fundraisen.

Bekommt ihr trotzdem genug geeignete Bewerbungen?

Es melden sich sogar sehr, sehr viele Menschen bei uns. Wir haben ein Kontaktformular, da trägst du dich ein und dann bekommst du eine Einladung zu einer Interessierten-Zoom-Runde. Da legen wir auch unsere Erwartungen an Lehrer*innen dar. Es ist tatsächlich so, dass wir sehr ausführlich informieren, aber trotzdem erleben wir immer wieder, dass Menschen all diese Prozesse durchlaufen. Und wenn es dann zum Einsatz kommt, sind sie erstaunt, dass sie am Austauschprozess teilnehmen sollen, dass sie ein YOGAHILFT-T-Shirt zum Unterricht anziehen sollen, und wir sieben deshalb ganz stark aus und gucken ganz genau, ob das matcht.

Ich wäre nicht geeignet, mit meinem Traumata-Hintergrund, ich habe keine Resilienz und würde bei jedem Schicksal mitleiden

Doch, da du die „Schatten“ kennst, ist das sogar ein klarer Vorteil.

Viele der Lehrer*innen merken ihre Schatten zum ersten Mal in der Fortbildung „Yoga&Trauma“, die sie durchlaufen müssen. Da fließen viele Tränen. Die Haltung der Yoga-Lehrer*innen ist so wichtig bei den Kindern, aber auch bei den Menschen 60plus: Habe ich ein Problem mit dem Altwerden? Hmmm, wenn ich dann die OMY!’s da vor mir habe und ich bin die ganze Zeit nervös, weil ich denke, ach du Elend, da komme ich auch mal hin, und wie stehe ich dazu – deswegen machen wir diese Fortbildungen.

Auch damit die Lehrer*innen Werkzeuge haben, um sich zu schützen. Das ist wie bei einer Therapeutin, die sich nach der Stunde ausschüttelt. Im YOGAHILFT Programm unterrichten wir Yoga. Rein und klar. Und wir arbeiten auch nur mit den Instrumenten und Werkzeugen des Yoga. Wir heilen nicht, wir therapieren nicht, wir sprechen auch nicht groß mit unseren Teilnehmenden. Wir ermöglichen ihnen in den 60 YOGAHILFT-Minuten eine neue Erfahrung mit sich selbst. Sie sollen mit einem Lächeln nach Hause gehen. Wir heilen nicht, wir therapieren nicht. Wir machen Yoga. Das ist für einige unsere Yogalehrer*innen eine neue Rolle, vor allem für die, die große Ausbildung in traumasensiblem Yoga bei TSY gemacht haben.

Zwei personen sitzen in einem Raum und sprechen miteinander

Julia Schwendner für YOGAHILFT

Macht ihr denn bei dem OMY!-ü-60-Programm anderes Yoga?

OMY! richtet sich ja an die Jahrgänge um die 1940 und da ist auch eine Menge Trauma am Start, dafür müssen die Yogalehrer*innen sensibilisiert sein, aufmerksam. Und sie müssen wissen, was ihre Rolle ist: Yogalehrer*in, mehr nicht. Ich selbst unterrichte eine Gruppe mit drei 87-jährigen Teilnehmerinnen. Die sind witzig, fit und lernbegierig. Das gibt es eben auch. Und als OMY!-Lehrerin muss ich dann damit umgehen können, dass eine von ihnen ihr Hörgerät nicht trägt, dementsprechend nichts hört und nur einen Teil der angeleiteten Übungen macht. Da brauche ich eine liebevolle, verstehende Haltung und: Ich muss meine eigenen Schatten kennen, z.B. Angst vor dem Altwerden.

Das ist harte Selbstreflexionsarbeit!

Ja, ganz genau das! Unsere Yoga-Lehrer*innen müssen Selbstreflexion beherrschen. In der Gewaltfreien Kommunikation sagt man, warum macht das was mit mir, dass das Kind nicht mitmacht. Warum sage ich, das Kind stört. Das darf ein/e YOGAHILFT-Lehrer*in nicht sagen, sondern sie braucht diese Schleife, was ist denn los mit mir, wieso bin ich denn da so drauf? Das Kind ist belastet, das Kind braucht etwas anders, es hat halt eine ungünstige Strategie das zu äußern, aber das muss ich doch können.

Yoga ist nicht nur nice to have. Yoga ist ein must have.

Danke für das ausführliche Gespräch und dein und euer unermüdliches Engagement! Wenn du noch eine letzte Message hättest, was wäre das?

Meine erste Message geht an die Politik, speziell an den Finanzminister: Es braucht mehr Geld für Bildung und es braucht die Grundsicherung für Kinder in voller, von Frau Paus, geforderter Höhe. Meine zweite Message geht in die Bildungspolitik. Es braucht einen Paradigmenwechsel: Weg von reiner Wissensvermittlung – absurd in Zeiten von Sprachmodellen und Suchmaschinen –, hin zu Persönlichkeitsentwicklung. Es gibt gute Ansätze: Das LI, Landesinstitut für Lehrer*innen-Fortbildung und Schulentwicklung in Hamburg, hat Gesundheit als handlungsleitend für alle Maßnahmen etabliert. Zu PrÄVIG sagt die Direktorin Beratung im LI: Yoga ist nicht nur nice to have. Yoga ist ein must have. Davon brauchen wir mehr. Dann finanzieren auch die Krankenkassen PrÄVIG aus dem Topf Prävention Lebenswelt Kita und Schule. Und zwar langfristig, über drei Jahre.


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