Wie bringt man alkoholfreien Wein zum Blühen? Ein Gespräch mit Anja Dommel
Anja Dommel und ich haben uns durch einen Zufall gefunden. Und das sind mir sowieso die liebsten Begegnungen: Die junge Künstlerin Anja Dommel aus Franken, ja, man hört es ihr an, schafft und lebt seit 2021 von ihrer Kunst. Schon als Kind hörte sie nicht auf zu malen, als Teenager besuchte sie Aktzeichenkurse und auch danach hat Zeichnen und Kreativität ihr Leben ausgemacht. Heute malt sie aufsehenerregendes: in ihre Bilder, Acryl auf Leinwand, mischt sie alkoholfreien Rotwein. Und darüber haben wir uns auch gefunden, über diesen Blogpost hier. Und kamen ins Gespräch, aus der sich eine schöne Verbindung entwickelte.
Anja Dommel im Interview: Wie geht Kunst?
In zwei Interviews hat Anja mich mit auf eine faszinierende Reise genommen: hinter die Kulissen des Kunstbetriebs. Hier alles aufzuschreiben, was ich von ihr lernen durfte, das würde den Rahmen sprengen. Doch wer sich für Kunst interessiert, Anjas Kunst mag und in Süddeutschland lebt, kommt vielleicht mal in den Genuss eines Hausbesuchs von Anja. Die dann eines ihrer Werke zum Probehängen mitbringt, und dabei aus dem Kunst-Nähkästchen plaudert. Heute und hier geht es erstmal um Anja und ihren Werdegang vom zeichnenden Kind zur Frage: Anja, wie geht eigentlich Kunst?
junieundich: Wie fing das bei dir an, mit der Kunst?
Anja: Das Kunst-Gen wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Mütterlicherseits gibt es Maler, Illustratoren und Bildhauer in meinem Stammbaum. Ich bin jetzt die 5. Generation und auch die erste Frau, die dieses künstlerische Erbe weiterträgt. Und das fing schon in meiner Kindheit an. Ich habe immer gemalt und gezeichnet und alle Fenster in der Wohnung mit bunten Window Color Kunstwerken beklebt. Meine Eltern haben dieses Talent erkannt und gefördert und mich aufs musische Gymnasium und zu privaten Kunstkursen geschickt. Je älter du wirst, desto mehr Angebote gibt es dann. Als Teenager bin ich zu Aktzeichenkursen gegangen, als einziges Kind unter lauter Erwachsenen. Das war eine Herausforderung, hat aber richtig viel Spaß gemacht – und mir meine erste Gemeinschaftsausstellung beschert. Nach dem Kunst-Abitur habe ich dann natürlich überlegt, wie ich einen handfesten Beruf aus meinem künstlerischen Talent machen kann. Ich habe damals sehr stark nach Sicherheit gesucht, als junges, 18-jähriges, kunstbegeistertes Mädel. Nach einer Institution, die mir nicht nur dabei hilft, meine eigene künstlerische Handschrift zu entwickeln. Sondern auch die wichtigen Felder Marketing oder Selbstvermarktung zu lernen, die du ja als Kunstschaffende*r brauchst. Ich habe mir gewünscht, dass ich seriös auf ein künstlerisches Berufsleben vorbereitet werde. Und das habe ich damals leider nicht einfach so gefunden. Ich wollte aber auch keine Kunstlehrerin oder Restauratorin werden. Man muss dazu sagen, das war 2009 und der klassische Weg hätte mich dann in die Kunstakademie geführt und danach in die Abhängigkeit einer Galerie. Die nach dem Studium die ganze Vermarktung und den Verkauf, die Kundenbindung und das alles für dich übernimmt. Dadurch geht dir ein großer Teil von dieser Freiheit und der Selbstständigkeit flöten, die du ja eigentlich als Künstler*in anstrebst. Mit dieser Aussicht war ich sehr desillusioniert und habe entschieden, die Kunst bleibt erstmal Hobby und du kannst ja beruflich etwas anderes suchen. Ich habe dann hier in Ansbach meinen Bachelor in Multimedia und Kommunikation gemacht, ganz vielseitig und praxisbezogen, wirklich toll. Und auf die reale Welt angepasst, was mir in dieser ganzen Kunstbubble gefehlt hat. Es bringt mir doch nichts, wenn ich mich zwar künstlerisch ausleben kann im Studium, aber danach völlig naiv in die echte Welt reingeworfen werde. Ich habe mit vielen Kontakt, die trotz dieser Bedenken Kunst studiert haben, da hört man lauter Horrorgeschichten. An manchen Kunstakademien hast du quasi gezeigt bekommen, wie du einen Hartz4 Antrag ausfüllst.
Also ja, manchmal finde ich es schon schade, dass ich die bestimmt zahlreichen positiven Seiten eines Kunststudiums nie erleben durfte. Aber rückblickend habe ich für mich dann doch alles genau richtig gemacht.
Und hast dich dann im Nebenjob künstlerisch ausgelebt?
Ich habe schon während des Studiums durch Empfehlungen die ersten Illustrationsaufträge bekommen. Da war querbeet alles dabei, Albumcover, Grußkarten, Logos. Ich habe mich einfach über jeden Auftrag tierisch gefreut. Nach meinem Studium bin ich dann als Webdesignerin in ein mittelständisches Unternehmen gegangen. Mein Plan war eine sichere, handfeste Karriere und nebenbei bin ich kreativ. Aber nach ein paar Jahren habe ich gemerkt, wenn du 9-to-5 als Designerin arbeitest, ist abends deine kreative Batterie leer. Ich konnte vielleicht am Wochenende noch ein bisschen malen und zeichnen, aber irgendwann habe ich einfach keine Inspiration, keinen Nerv mehr gehabt. Rückblickend war das keine leichte Zeit für mich, so hin- und hergerissen zwischen meinem anspruchsvollen Brotjob und meiner wahren Leidenschaft, der Kunst.
Emily Powell in Aktion
Welche Kunstrichtungen inspirieren dich, gibt es Lieblings-Maler*innen?
Also, das wundert immer viele. Ich bin tatsächlich gar nicht so auf dem Laufenden, was das aktuelle Kunstgeschehen betrifft. Ich versuche, mich auf meine Projekte zu konzentrieren und mich nicht zu sehr ablenken zu lassen, nicht ständig nach rechts und links zu schauen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich Autodidaktin bin. Ich habe einfach nie einen persönlichen Bezug zu dieser ganzen Kunst-Bubble gefunden, weil es mir oft zu elitär ist, nach wie vor, und zu sehr Parallelwelt. Ein paar zeitgenössische britische Künstlerinnen, da muss man auch gar nicht gendern, finde ich aber wahnsinnig toll. Emily Powell in Südengland zum Beispiel. Sie ist auch ein Kind der 90er und malt groß, bunt und mit so einer kindlichen, positiven und befreiten Art. Mit großen Pinseln in großen Farbtöpfen. Ein richtiges künstlerisches Vorbild habe ich aber nie gehabt. Da fällt mir höchstens Albrecht Dürer ein, weil er ja auch hier in Mittelfranken, in Nürnberg gelebt hat. Und so schön realistisch und detailverliebt gearbeitet hat. Ich hatte als Kind einen dicken Bildband mit seinen Arbeiten und die haben mich sehr beeindruckt. Das ging so weit, ich habe mir später sogar einen Wolpertinger tätowieren lassen, inspiriert von dem berühmten Dürer Hase. Mittlerweile sprechen mich aber eher freie Sachen an, wo es mehr um Gefühl geht und nicht um die reine Reproduktion oder ein Abmalen.
Im Bereich Kunst gibt es die Herausforderung KI. Illustrationen lassen sich, mittelguter, bei Canva und Co. herstellen. Für kleine Unternehmen ist das natürlich ein Grund, keine Illustrator*innen mehr zu engagieren. (Wie) betrifft dich das?
Früher hat man Illustrator*innen ganz oft wegen ihrem eigenen, wiedererkennbaren Stil gebucht. Manche haben analog gezeichnet, andere, wie ich, digital am Grafiktablett. Und man saß stundenlang an einer einzigen Zeichnung. Das war eine totale Handwerkskunst und das kostet natürlich. Für viele, gerade mittelständische Unternehmen, sind KI-Bilder jetzt eine Alternative und in vielen Fällen gut genug, wenn man jemanden dasitzen hat, der einigermaßen gut prompten kann. Das kann man blöd finden, aber so sieht es aktuell nun mal aus. Ich glaube, es ist umso wichtiger für alle Illustrator*innen, sich jetzt wirklich gescheit und professionell zu positionieren, sich eine Nische zu suchen und die Kommunikation drumherum richtig gut hinzukriegen. Mich persönlich betrifft diese Flut an KI-Bildern aktuell aber nicht so sehr, weil ich ja analog male, mit Acryl auf Leinwand. Und mit alkoholfreiem Wein.
Zu deiner Nische „Malen mit alkoholfreiem Wein“. Wie kam es zu dieser großartigen Idee?
Ich trinke jetzt seit über einem Jahr keinen Alkohol mehr und probiere mich mit großer Begeisterung durch alkoholfreie Weine durch. Da gibt es mittlerweile zum Glück ein echt tolles und wachsendes Angebot. Und mein Künstler-Gehirn tickt einfach so: Ich habe irgendwann ausprobiert, ob man damit vielleicht auch malen kann. So sind meine ersten Arbeiten entstanden, mit den Rotweinflecken, die ja jeder von uns kennt und die so richtig schön die Leinwand färben. Den Rotwein kombiniere ich mit Acrylfarben, um den ganzen bunten Farbkreis zu bekommen. Und inhaltlich bringe ich dann ganz gerne noch Mental Health Themen mit rein. Das sieht man auch bei meinen neuesten Bildern.
Die neuen Kunstwerke von Anja Dommel: Das Aufblühen in dir
It’s time for you to bloom, my love
Du tust so viel, um im Außen zu glänzen. Wann traust du dich, auch innerlich aufzublühen? (Bildunterschrift, Anja Dommel)
Wie autobiografisch sind die Bildunterschriften von dir? Entsteht dabei zuerst die Idee zur Aussage, oder das Bild?
Das Thema, also die inhaltliche Aussage, entsteht immer zuerst. Bei meinen neuesten Bildern ist es das innere Aufblühen und die Idee, mit der Metapher einer Blume zu arbeiten. Vor dem ersten Pinselstrich habe ich also wirklich mehrere Monate lang alle möglichen Textschnipsel zusammengetragen. Wörter, Sätze, Zitate. Immer wenn mir etwas dazu eingefallen ist oder wenn ich auf Social Media, in Filmen oder Serien etwas aufgeschnappt habe, kam es in meine digitale Notizsammlung, die immer länger und länger wurde. Der nächste Schritt war dann, aus diesem Sammelsurium die Bildtitel und Narrative zu formulieren. Also die Aussagen, zu denen Kunstwerke entstehen sollen. Erst dann begann der eigentliche Schaffensprozess. Das heißt: Im Kunstgroßhandel Materialien einkaufen gehen, Leinwände ausmessen, zuschneiden und grundieren, Farben mischen und Farbpaletten zusammenstellen, malen. Das hat nochmal ein paar Wochen in Anspruch genommen, denn ich sortiere viele Bilder schon während dem Schaffensprozess wieder aus. Ich bin sehr perfektionistisch und meist nur etwa mit der Hälfte der Werke zufrieden. Das ist der Ausschuss, den man nicht sieht als Kund*in. Ich zeige am Ende ja nur die wenigen ausgesuchten Bilder, mit denen ich wirklich zu 100 % zufrieden bin und die meine Aussage, die ich vermitteln will, perfekt rüberbringen.
Ich durfte dich als Person kennenlernen, die strukturiert und methodisch und trotzdem empathisch und sensibel wirkt. Das ist eine schöne, seltene Kombination. Wenn du deine Narrative für dich formulierst und das auf die Leinwand bringst, ist das auch therapeutisch?
Ich bearbeite auf jeden Fall in meiner Kunst viele Themen, die mich persönlich beschäftigen und das ist dann manchmal wirklich wie so eine Art Selbsttherapie. Mittlerweile versuche ich aber nochmal einen Schritt weiterzugehen und die Schnittmenge zu finden, zwischen meinen eigenen Themen und Rückmeldungen oder Wünschen meiner Kund*innen. Das gilt auch für die neuen floralen Werke, bei denen wieder der alkoholfreie Wein als Material mit einfließt. Viele haben schon in meinen ersten Weinbildern etwas Florales gesehen und ein Aufblühen. Dieses Feedback habe ich aufgegriffen und die neuen Blumenbilder gestaltet.
Das ist grundsätzlich mein Anspruch als professionelle Künstlerin, dass ich mich nicht nur egozentrisch um mich selbst drehe. Sondern auch konstruktiven Input und kreative Ideen von außen mit einfließen lasse. Man kann es aber natürlich nie allen recht machen. Man muss sich schon genau überlegen, wen man überhaupt ansprechen und mitgestalten lassen will. Da ist mir vor allem eine zwischenmenschliche Sympathie mittlerweile sehr wichtig. Und dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Das ist die Basis für alles, auch wenn es um Kooperationen geht. Aktuell knüpfe ich viele neue Kontakte in die Weinwelt. Ich war im September auf der ersten großen Messe für alkoholfreie Getränke in München. Als einzige Künstlerin durfte ich eines meiner Weinbilder dort präsentieren. Und mit einigen sympathischen Leuten aus der Gastronomie in Kontakt kommen. Und mit Sommeliers und Winzer*innen. Daraus werden in den nächsten Wochen neue Kunstwerke und Kooperationen entstehen. Ein paar neue alkoholfreie Rotweine stehen schon hier bereit.
Bloom –
Nimm dir alle Zeit, die du brauchst. Du darfst reifen, wie ein guter Rotwein. Und aufblühen – so verschwenderisch schön.
Lass uns noch mal kurz zu den Narrativen zurück, gerade in Hinblick der autobiografischen Aussage. Ist das so ein Prozess, in dem du gerade steckst, dass du dir erlaubst, aufzublühen?
Auf jeden Fall. Ich habe mich gerade in meinen Zwanzigern oft selbst ausgebremst und kleiner gemacht, als ich bin. Tatsächlich interessiere ich mich schon lange für Psychologie, aber so richtig erkannt und reflektiert habe ich das erst jetzt in meinen Dreißigern. Manchmal dauert es einfach eine Weile, bis einem ein Licht aufgeht. Und dieses persönliche Aufblühen, das hat für mich mehrere Ebenen. Die berufliche Ebene, auf der man entweder einen sicheren Job hat, der einen aber nicht erfüllt. Oder man entscheidet sich für die Selbstverwirklichung, die natürlich immer mit einem gewissen Risiko verbunden ist, für mich aber ein total wichtiger innerer Treiber. Dass ich mir erlaubt habe, mich mit meiner Kunst selbstständig zu machen und einen anderen sehr guten Job, den ich sehr gerne gemacht habe, dafür zu beenden. Das hat ja auch ganz viel mit Loslassen zu tun, damit etwas Neues entstehen und aufblühen kann.
Und dann gibt es natürlich noch die private Ebene, die meine Kunstwerke inspiriert. Da bin ich oft hin- und hergerissen. Wie viel soll ich wirklich von mir erzählen? Wann wird es zu privat? In den Bildtiteln und Narrativen versuche ich deswegen, einen Einstieg zu formulieren. So hat man die Chance, sich selbst in dem Kunstwerk wiederzufinden und sich näher damit zu beschäftigen. Vieles erzähle ich dann auch erst im persönlichen Gespräch, wenn sich jemand näher für ein bestimmtes Kunstwerk und die Geschichte dahinter interessiert. Da ich meine Kund*innen mittlerweile alle persönlich betreue, und keine Galerie als Zwischenhändler dazwischensteht, funktioniert das sehr gut.
Ich habe mir frühere Werke von dir angesehen. Da hattest du eine ausgeprägte Natur-Phase, mit vielen Grüntönen. Was beeinflusst deine Farbauswahl?
Ich bin sehr naturverbunden und das hat im Laufe der Jahre immer wieder meine Kunst stark beeinflusst. In meiner grünen Phase habe ich auf das Thema Wald bezogen gearbeitet. Ich habe mir ein Jahr lang Zeit genommen, um mich richtig ins Grün reinzustürzen. Mir macht es Spaß, mich auf eine einzige Farbe zu fokussieren und zu gucken: Was kann man damit jetzt alles machen?
Und so arbeite ich eigentlich immer. Ich bleibe über einen längeren Zeitraum an einem Thema, um dem wirklich genügenden Platz und Raum zu geben. Das geht aber nicht immer gut. Ich habe auch schon eine wunderschöne, großformatige Bilderreihe mit Bergen gemalt und da ist dann sehr unerwartet etwas echt Blödes passiert: Ich habe ganz schlimmes Fernweh nach den Bergen bekommen. Das hat meine mentale Gesundheit sehr belastet. Man kann sich das vielleicht gar nicht vorstellen. Aber wenn das dein Vollzeitjob ist und du dich die ganze Zeit gedanklich damit beschäftigst, dann macht das etwas mit dir.
Seitdem weiß ich: Das Thema in meiner Kunst muss etwas sein, das positiv und bei mir ist und zu dem ich täglich Zugang habe. Mit meinen aktuellen Arbeiten gelingt mir das sehr gut und ich freue mich auf die nächsten Wochen und Monate im Atelier.
An dieser Stelle habt ihr vielleicht schon bemerkt, was für eine vielschichtige, authentische und durchweg freundliche Person ist, oder? ich freue mich sehr über unseren Kontakt. Und kann euch ihre Werke nur ans Herz legen.
Mehr Informationen zu den Kunstwerken von Anja Dommel findet ihr hier auf ihrer Webpage: anjadommel.de.