Favoriten – Das berührt mich gerade: Tolle Bücher und das Plaudernetz
Es gab schon lange keine Favoriten auf diesem Blog, dabei liebe ich diese Rubrik. Hier kann ich rein packen, was mich gerade interessiert, was ich unbedingt haben möchte, oder wie im heutigen Fall: Was mich tief berührt. Zwei Bücher sind dabei und eine unkomplizierte Möglichkeit, wie Menschen ohne Anschluss doch mal wieder ins Plaudern kommen können. Kommt mit!
Das Plaudernetz – Einfach ins Gespräch kommen
Einsamkeit kann wehtun und Einsamkeit beenden ist oft nicht möglich, sei es aufgrund der fehlenden Mobilität, abgelegener Wohnorte oder sonstigen Gründen. Menschen, die dennoch einfach mal reden möchten, können das nun im „Plaudernetz“ tun. Der Malteser und die Telekom haben in Kooperation eine kostenfreie Rufnummer geschaffen, die zwischen zehn Uhr morgens und zehn Uhr abends Gesprächspartner*innen vermittelt. Interessierte können dort anrufen und werden im Zufallsverfahren an eine/n andere/n Plauderer/in vermittelt. Das Gespräch kann nicht wiederholt werden, man wird immer nur via Zufall an eine Person vermittelt. Wer also Lust hat, mal wieder ins Gespräch zu kommen, der wählt die kostenfreie Rufnummer 0800 / 330 1111 und plaudert los. Wer ehrenamtlich als Plauderer mitmachen möchte, kann sich hier informieren.
Buch: Dagmar Kramp – Meine Liebe tötet
Angeschnallt: Für mich war dieses Buch eine multidimensionale Erfahrung. Ich habe das Buch zwar als Bloggerin gelesen, hatte aber so viele Parallelen zu dem Hauptcharakter Julia, dass ich zwischendurch immer wieder selber aus der Perspektive der „kleinen Julia“ las. Wobei die erwachsene Julia durch ihre zwanzigjährigen Therapieerfahrungen selber tiefgehendes Wissen über die Psyche und Umgang mit Traumata kennt und wiederum quasi über der kleinen Julia saß und aus ihrer Perspektive las. Eine wirklich verwirrende Situation! So oft musste ich meinem Mann aus dem Bett heraus, mit dem Buch in der Hand, eine Signal-Nachricht schreiben: „Jetzt ist der Vater von Julia auch noch Tischler“, oder „jetzt ist echt die depressive Mutter gestorben“. Bis mein Mann trocken nachfragte, ob ich bei der Autorin Dagmar Kramp nicht doch zufällig mal in Therapie war und als Inspiration für die fiktive Kindheit der Buch-Julia diente. Zurück zum Anfang, denn worum geht es in dem Erstlingswerk von Therapeutin Dagmar Kramp:
Protagonistin Julia ahnt, dass sie multiple Persönlichkeiten hat, die aufgrund ihrer traumatischen Kindheit in ihrer Psyche hier und da die Schaltzentrale übernehmen. Nicht immer zu ihrem eigenen besten, aber eigentlich immer als Schutzmechanismus, denn das ist das Wunderwerk Psyche. Multiple Persönlichkeitsstörungen entstehen dann in Menschen, wenn etwas Erlebtes so furchtbar ist, dass der/die Betroffene dieses Erlebnis „abspalten“ muss. Andere Persönlichkeiten übernehmen dann das „aushalten“ dieser Erlebnisse. Und versuchen im Laufe der Zeit schützend auf die betroffene Person einzuwirken. Oft ist der Schutz aber destruktiv. Ich kenne das: auch ich habe eine besonders starke histrionische Persönlichkeit entwickelt, um mit dem Erlebten klarzukommen. Wie Julia im Buch, die nur ein Jahr jünger ist, als ich es bin, erlebte ich einen gewalttätigen Stiefvater, einen leiblichen Vater, der als Tischler und Restaurator tätig war, hatte eine depressive Mutter, die sich das Leben nahm, als ich 9 war. Buch-Julia war damals zehn. Buch-Julia wuchs dann bei ihrer Tante auf. Und guess what: Ich wuchs bei meiner Tante auf. Buch-Julias Tante ist französisch geprägt. Meine italienisch. Buch-Julia wurde in der Schule gemobbt, ich wurde es. Buch-Julia wurde heranwachsend mit ihrer multiplen Persönlichkeit in gefährliche Situationen gebracht, ich wurde es. Erst im Erwachsenenleben trennen sich die Buch-Julia und ich, die hier schreibende Julia. Aber hatte ich erwähnt, dass meine verstorbene Mutter Dagmar heißt, so wie die Autorin? Tja.
Zurück zum Buch: Julias Tochter, natürlich, auch Julia ist alleinerziehend, wie auch ich mit meiner Tochter, verschwindet von dem Hof der Tante, der im Südwesten Frankreichs liegt. Zunächst wird gesucht, doch dann ist klar: Das Kind ist wirklich weg. Wer kann das Kind entführt haben, oder war es eine von den multiplen Persönlichkeiten, in Julia, die durch ihr destruktives Verhalten ihr eigenes Kind gefährdet haben? Julia ist nun auf die Hilfe zwei alter Freundinnen angewiesen. Gleichzeitig muss sich Julia erstmals eingestehen, dass es diese anderen Persönlichkeiten in ihr gibt, die vielleicht auch nicht besonders liebevoll sind. Werden ihr diese Persönlichkeiten helfen können, ihr Kind wiederzufinden?
Der Psychothriller ist ein Erstling, das merkt man. Kramp ist (noch) keine Susanne Mischke, die mal so eben einen Bestseller aus dem Ärmel schüttelt. Aber sie hat das Potenzial. Die Geschichte an sich ist für mich natürlich nachvollziehbar und ich mag die unterschiedlichen Schauplätze. Das verwahrloste Zuhause der jungen Julia mit dem ätzenden Stiefvater in den 1980er Jahren, das Hier & Jetzt, in Frankreich, aber dann auch wieder in Deutschland. Die Dialoge sind gut, wenn vielleicht manchmal auch etwas zu lang geraten. Aber was mir besonders gefällt, ist eben der offene Umgang mit dem komplexen Thema der multiplen Persönlichkeiten. Der Frankfurter Rundschau sagte Kramp:
Die Persönlichkeiten der Menschen seien nicht böse, sondern normalerweise zum Schutz des Menschen da, der in seiner frühen Kindheit ein schlimmes Trauma erlebt habe.
Und das habe auch ich gelernt. Ich habe glücklicherweise keine echte dissoziative Störung, wie Buch-Julia. Aber ich musste lernen, dass meine histrionische Persönlichkeitsstörung mein Leben bis Mitte 30 fest in der Hand hatte. Und dass es da noch eine ganz andere Seite gibt. Das ist die Idee dieses Blogs, das steckt sogar im Namen. junieundich ist aus der Idee heraus geboren, dass meine Junie-Seite die sanftere, yogische, introvertierte Seite ist. Meine innere Julie hingegen ist wild, wild, wilder. Dieses Buch zu lesen, war daher für mich sehr speziell und tiefgehend. Lest unbedingt mal rein: Auf der Verlagsseite könnt ihr eine Leseprobe lesen.
Buch: Bruno Jelovic – Der Hundebeschützer
Auch ein bisschen typisch für traumatisierte Personen: Das Hinwenden zu Tieren, das weg vom Mensch. 🙋🏻♀️. Ich habe mit 12 einen Tierschutz-Club gegründet und bin seit 25 Jahren Mitglied bei PETA und anderen Tierschutz-Organisationen, gerade bin ich in die Tierschutz-Partei eingetreten. Das ist ein no-brainer. Menschen, die schlimmste Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, wenden sich Lebewesen zu, die einfach sind. Ohne Missbrauch, ohne Gewalt, die einfach pur „sind“. Ich habe einen Hund, der ist die allergrößte Liebe, für den würde ich alles tun. Das weiß mein Mann, das weiß meine Tochter: Doggy ist hier die Nummer 1. Das vorne weg, aber worum geht es mir eigentlich? Um ein Buch, zu dem ich mich zwingen musste, es zu lesen. Weil ich Grausamkeiten an Tieren und logischerweise gerade auch am Hund kaum aushalten kann. „Der Hundebeschützer“ Bruno Jelovic schreibt auf 227 Seiten aber gerade davon. Von verhungerten Welpen, von geprügelten Hunden, von Gewalt, Schüssen und Armut in seiner Heimat Bosnien. Seine erste Hündin Mia, auch ein Frenchie, wie meiner, holte er noch von einer Züchterin. Ich supporte keine Qualzucht, niemals. Frenchies sollten nur aus Rettung geholt werden. Und eben um gerettet Hunde und um die richtige Adoption von geretteten Hunden geht es auch im Buch.
Kurzes Recap zu seiner Kindheit im Kriegsland, der Umzug in die Schweiz, die bei aller Liebe der Schweiz gegenüber, nationalistisch geprägt ist, damals wie heute. Und geflüchtete Menschen, damals wie heute, ausgegrenzt werden. Zudem musste seine Familie einen sozialen Rückschritt verkraften. Waren sie vor dem Krieg in Bosnien mit eigener Firma noch gut situiert, standen sie plötzlich mit Schulden da. Ein bisschen kam ab da die typische Migrantenkind-Laufbahn. Schule naja, Freunde schlecht, trinken, feiern, dann kommt Tattoos&Bodybuilding, Fitnessmodel, Bordelle, fertig ist das Schema F. – oder nicht? Nein, es kommt ganz anders.
Jelovic reist zurück in seine alte Heimat und sieht: Hunde, Hunde, nochmals Hunde. Durch die Hunde ohne eine/n zugehörigen Mensch vermehren sich die Hunde unkontrolliert, keiner kümmert sich, keinen schert es, es sind zu viele. Also dachte er sich „Bosnien hat so viel Land, so viel freies, unbebautes Land, das kann man doch nutzen, um daraus ein sicheres Zuhause für viele machen“. Und so war die Idee der Hunderettung geboren.
Schritt für Schritt bringt er sich das Thema Hund, artgerechtes Hundeleben und auch Vermittlung bei. Den wenigsten Menschen, die gerettete Hunde nehmen, ist klar, worauf sie sich da einlassen. Ein Hund braucht eine ganz klare Rudelführung, aber komplett ohne Gewalt. Ein Hund ist ein komplexes Wesen. Wer einen Hund will, der sollte erstmal: lesen, lesen und nochmal lesen. Von Rassen und deren Bedürfnissen, deren Auslauf- und Spielbedürfnis, die wirklich gute Hundeernährung, von Tierarzt-Kosten, und unbedingt in diesem Buch. Hunde funktionieren nicht einfach so und gerade traumatisierte Hunde brauchen ganz viel Zeit und ganz viel Sicherheit. Bruno widmet dem Thema ganze Seiten. Das ganze Buch steckt voller Hundebiografien, die mein Herz zerreißen und natürlich auch Happy Ends, die mir Hoffnung geben. Viel, viel Liebe für diesen Typen. Bitte lest dieses Buch, auch wenn es wehtut. Bitte helft Bruno, Hunde zu retten. Und zwar nachhaltig und seriös. Über Thalia.
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