thxbye – Die ethische Kündigungsberatung für Arbeitnehmer*innen in Bullshitjobs

Die Autorin Bianca Jankovsca lehnt sich sitzend über einen Schreibtisch, sie trägt Bademantel und Handtuch-Turban

Strukturenaufbrecherin Bianca Jankovska I Credit: Melanie Ziggel

Bianca Jankovska ist exorbitant vielschichtig und vor allem: immer der Zeit voraus. Sie bloggt, sehr erfolgreich und das schon seit sie 16 ist. Ihr 2014 gegründeter Blog Groschenphilosophin hat sich zum ersten deutschen medienwissenschaftlichen Pop-Magazin, das ausschließlich von Frauen unter 35 geschrieben und gedacht wird, entwickelt und wurde dafür im Jahr 2020 mit der Auszeichnung „Kulturblog des Jahres“ (Goldene Blogger) prämiert. Frauen über 45 dürfen aber trotzdem mitlesen. Also ich zum Beispiel.

Gestoßen bin ich auf sie durch eine Kritik an Laura Malina Seiler und deren RUSU. Diese Art der Schreibe, diese Klugheit, diese Rebellion – ich war gleich hooooked. Hab ich doch dieses große Faible für kluge, starke, edgy Frauen, die geil schreiben und sich ausdrücken können und meist ein bisschen rebellisch sind. Als ich von Bianca dann noch einen Newsletter, mit der durchaus berechtigten Frage: „Wer braucht bitte einen Kündigungscoach?“, las, war klar: Bianca, wir müssen reden.


Bianca ist Kommunikationswissenschaftlerin und Wirtschaftsjuristin by Abschluss, aber Autorin und Philosophin by heart. Und was ist das bitte für eine geile Kombi! Nur so eine Person kann wirklich gute Antworten auf die Frage finden, warum es Menschen so schwerfällt, sich aus chronisch ungesunden Arbeitsverhältnissen zu lösen. Nur so eine Person kann gute Ansätze finden, um erfolgreich zu beraten und zu supporten und eben eine Kündigungsberatung gründen.

Ihr Beratungsunternehmen thxbye ist seit Anfang des Jahres online. Im Interview mit mir erklärt sie, warum die Endlosschleife „kündigen oder nicht kündigen“ von neutraler Stelle besser begleitet werden kann, als aus dem privaten Umfeld heraus. Und vielleicht noch spannender: Sie stellt die berechtigte Frage in den Raum, warum wir eigentlich Arbeit als so erstrebenswert betrachten.

Was ich als Kündigungscoach leiste, hat mehr mit der psychischen und philosophischen Dimension einer Kündigung zu tun. Wie bei einer romantischen Trennung auch, geht so eine berufliche Trennung oft mit einer persönlichen Krise – oder zumindest einer großen Unzufriedenheit – einher.

Eine Frau sitzt in Shorts und Top auf einer weißen Treppe

Credit: Bianca Jankovska


junieundich: Kannst du kurz erklären, warum wir eine/n Kündigungscoach*in brauchen, welche Kernaufgaben du für dich im Prozess siehst und wo der Prozess sein Ende findet?

Bianca / thxbye: Ganz ehrlich: Niemand braucht mich, um eine Kündigung einzureichen oder die Frist im Arbeitsvertrag nachzulesen. Genauso wenig, wie niemand seine beste Freundin braucht, um sich vom Partner zu trennen. Final zu sagen: „So, das war’s jetzt.“

Was ich als Kündigungscoach leiste, hat mehr mit der psychischen und philosophischen Dimension einer Kündigung zu tun. Wie bei einer romantischen Trennung auch, geht so eine berufliche Trennung oft mit einer persönlichen Krise – oder zumindest einer großen Unzufriedenheit – einher.

Warum bin ich so unglücklich in meinem „Traumjob“, wer bin ich ohne diesen Job? Warum kann ich nicht kündigen? Oder auch: Was brauche ich unmittelbar nach der Kündigung (eine zutiefst vernachlässigte Phase, btw.)? Alles Fragen, die über finanzielle und rechtliche Themen hinausgehen, aber mindestens – wenn nicht sogar stärker – nachhallen und meine Klientinnen beschäftigen. Für viele Fragen habe ich Methoden der Selbstreflexion entwickelt. Ich gebe auch ganz gerne Hausaufgaben auf, wenn das meine Klientinnen begrüßen.

Wenn ich ins Coaching komme, bevor die Klientin gekündigt hat, sind da berechtigte Ängste im Kontext einer Kündigung, die besprochen werden wollen. Und zwar mit einer neutralen Person, die nicht mit der eigenen Agenda dazwischenfunkt.

Ich bin eben nicht die beste Freundin, nicht die besorgte Mutter, nicht die ängstliche Großmutter. Nicht die Arbeitskollegin, die selbst längst gehen wollte, sich aber auch nicht traut.

In der Regel geht das Kündigungscoaching dann los, wenn meine Klientinnen prinzipiell bereit sind, ihre Kündigung einzureichen – aber nicht wissen, wie oder wann. Es endet – im Idealfall – wenn die Klientinnen die ersten Wochen raus aus dem Job sind und anfangen, mit dem Jobcenter zu kooperieren.

Wann weiß ich, dass es Zeit ist für das Gespräch mit eine/n Kündigungscoach*in?

Es ist Zeit für ein Gespräch mit mir, wenn du folgende Szenarien kennst:

Wie oft hast du dich schon am Wochenende mit Gedanken an die Arbeit gequält, während du in einem wunderschönen Café vor einer Portion Eggs Benedict saßt? Wie oft hast du abends den Laptop zugeklappt und dich gefragt, ob das jetzt wirklich dein Leben ist, für den Rest deines Lebens? Wie oft hast du in Meetings gelächelt, E-Mails mit „Ja, super gerne“ beantwortet, nochmal eine Extra-Korrekturschleife eingelegt, während du in deinem Innersten schreien wolltest?

Und trotzdem steckst du da seit Jahren drin, wie in einer toxischen Beziehung und kommst nicht mehr ohne fremde Hilfe raus.

Ich bin genau diese fremde Hilfe. Ich helfe Menschen raus, wenn sie es alleine nicht schaffen und merken, dass sich ihre Gedanken im Kreis drehen. Oft leidet auch das private Umfeld unter der „Kündigen oder nicht Kündigen“-Entscheidung.

Solange du zur Arbeit gehen kannst, bist du nicht krank – selbst, wenn du längst unter den Folgen von Überarbeitung leidest und, zum Beispiel, ein Suchtproblem entwickelt hast.

Die Autorin Bianca Jankovska steht in einem Arbeitszimmer und trägt einen Kimono

Credit: Melanie Ziggel

Warum ist kündigen für viele von uns so schwer, was verbindet uns so mit unserer/em Arbeitgeber*in, wenn der/die doch offensichtlich Scheiße ist?

Dafür muss ich etwas weiter ausholen. Wir sind in Zentraleuropa mit der Doktrin aufgewachsen, dass Arbeit sinn- und persönlichkeitsstiftend ist. Schon von klein auf werden Kinder von ihren Tanten, Großeltern und Lehrern gefragt, was sie später einmal werden wollen. Statt darauf mit etwas Greifbarem wie „ein glücklicher Mensch“ zu antworten, zählen die Kleinsten unserer Gesellschaft bereits im Kindergarten Berufe auf, die sie sich in der Praxis gar nicht vorstellen können. Wie eine unendlich erneuerbare Energiequelle leisten Eltern und Familien unbezahlte Arbeit für den Markt, in dem sie Individuen hervorbringen, die sich später brav im Arbeitsleben einfügen. Die Familie ist der Grund für das Gefühl, zur Arbeit gehen zu wollen, der Grund, warum wir zur Arbeit gehen müssen, und der Grund, warum wir zur Arbeit gehen können – wie Sophie Lewis schreibt.

Das muss man erst einmal verstehen, bevor man sich ernsthaft fragt, warum sich so viele Menschen mit ihren Arbeitgebern verbünden, unter der Herrschaft des Kapitals für den Profit anderer knechten und dabei ihre eigenen Bedürfnisse nach einem menschenwürdigen Leben missachten. Dazu kommt, dass Status eine wichtige Identitätskategorie im Neoliberalismus darstellt: Du bist, was du arbeitest. Solange du zur Arbeit gehen kannst, bist du nicht krank – selbst, wenn du längst unter den Folgen von Überarbeitung leidest und, zum Beispiel, ein Suchtproblem entwickelt hast. Die Arbeit hält uns als Menschen im Innersten zusammen, weil sie uns vorgaukelt, in Ordnung, normal und funktional zu sein. Der Arbeitgeber legitimiert das.

Ich kenne vor allem die von den Boomern kreierte Arbeitswelt: Langjährige Loyalität seitens der Mitarbeiter*innen gegenüber der Firma und ein Leistungsorientierten-Leadership mit der Maxime „Deine Mitarbeitenden müssen dich nicht mögen, sie sollen Angst vor dir haben“. Hast du das Gefühl, es hat sich wirklich etwas getan in dem Verständnis von Unternehmer*innen, die Arbeitsethik betreffend?

In gewisser Weise schon, klar. Es gibt jede Menge Buzzwords, mit denen Unternehmen versuchen, ihre fehlende ethische Praxis zu verstecken. Dafür muss man nur einmal „Employee Experience“, „Candidate Journey“ oder „Corporate Purpose“ googeln. All diese HR-Trends zielen darauf ab, Bewerbern und Angestellten gleichermaßen das Gefühl zu geben, es handle sich hierbei um ein Unternehmen, das großen Wert auf das persönliche Miteinander (Wertschätzung!), faire Arbeitsbedingungen (Gleitzeit!) und nachhaltiges Wirtschaften (Sustainability!) legt.

CEOs wissen: Arbeitnehmer sind inzwischen keine unpolitische Knetmasse mehr, sie haben Zugang zum Internet, zu Arbeitgeberbewertungsplattformen wie Kununu und schauen genau hin, wenn Unternehmen globale Skandale produzieren. Deshalb tun sie auch für die Optik so, als ob sie sich für das persönliche Wohlergehen von Mitarbeitern interessieren. Mit nett formulierten Onboarding-Mails, Weihnachtsgeschenken und Netzwerktreffen wird versucht, fehlende Chancengleichheit hinsichtlich Race, Class und Gender wie mit billigem Parfum zu übertünchen.

Meiner persönlichen Erfahrung nach – und ich habe noch im Frühjahr 2022 on the side für ein Consulting-Unternehmen im Change Management gearbeitet – können Unternehmen diese Versprechen im leistungsdruckorientierten Alltag absolut nicht halten. Ja, du wirst vielleicht nicht mehr von deinem Boss angeschrien, dafür wird dir in einem Meeting um 8:30 mit einem freundlichen Lächeln nahegelegt, dass du dich schon noch ein bisschen motivierter in Teambuilding-Maßnahmen einbringen könntest ;), obwohl deine To-do-Liste übergeht.

Meine Generation tut sich besonders schwer mit dem Kündigen, gerade weil Menschen 50+ nicht mehr eingestellt werden – trotz Fachkräftemangel. Warum sollten sie es trotzdem tun, wenn sie im Bullshitjob gefangen sind?

Pauschal würde ich niemandem raten: Kündige einfach mal blind drauflos! Ich höre mir stets die individuellen Umstände meiner Klientinnen an, mache im Coaching einen finanziellen Check-up und plane mit meinen Klientinnen einen strategischen Exit, der im besten Fall mit finanziellen Benefits einhergeht.

Ich bin weder naiv noch habe ich eine Millionenerbschaft im Rücken, die mich gänzlich vor Lohnarbeit verschont. Deshalb weiß ich, wie wichtig es ist, erstmal die finanzielle Lage zu klären, um zu schauen: Wie lange kann ich mir eine Auszeit unter welchen Konditionen erlauben? Unter dem System, in dem wir leben (Kapitalismus) gibt es für die besitzlose Klasse kein vollständiges Entkommen vor der Lohnarbeit.

Deshalb müssen wir auch im Kleinen umdenken und schauen, wie wir aus unserer Lage mit den Mitteln, die wir haben, das Beste herausholen. Und ja, ich finde, der Sozialstaat muss stärker einbezogen werden, wenn es um die Frage geht: Wer oder was übernimmt die Verantwortung für das Leben der Nicht-Erwerbstätigen, für die Kranken, die Jungen und die Senioren, wenn sie keine Familie haben? Ich finde es mehr als bedenklich, dass Konzepte wie Marktfreiheit, das liberale Individuum und Schulden auf den Sockeln von Verwandtschaftsverpflichtungen errichtet wurden.

Digitalisierung, Automatisierung, ChatGPT – wie stellst du dir die (Arbeits-)Welt in zehn Jahren vor?

Ich bin ein Digitalisierungs-Ultra und hoffe, dass so viele Bullshitjobs wie möglich automatisiert werden. Von Supermarktkassenjobs bis Texter-Jobs. Und wenn das bedeutet, dass ich nie wieder Artikel gegen Geld für andere schreibe – dann soll es eben so sein. Statt Angst davor zu haben, was passiert, wenn Arbeit wegfällt, sollten wir uns lieber überlegen, wie das Kapital fair verteilt wird, das uns die Maschinen erwirtschaften. Wir brauchen ein völlig neues System mit einer neuen Wirtschaftsordnung.


Bianca und thxbye erreicht ihr über Insta @thxbye.de, einen Free Intro Call gibts über Calendly und immer zu empfehlen sind sämtliche Artikel auf Groschenphilosphin. Plus: Der Podcast „The bleeding Overachiever“, der wohl einzige Podcast mit der Thematik „Arbeit+Zyklus“.

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