Weirdos und Healer: positive und negative Erfahrung mit Therapeut*innen
Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um Missbrauch, Suizid, Gewalterfahrung
Ich bin jetzt genau zwanzig Jahre in Therapie. Und zwar genau, und auf den Monat exakt zwanzig Jahre. Nein, ich war nicht durchgehend in Therapie und auch nicht immer in der gleichen Therapieform oder mit dem/der selben Therapeut*in.
Allein die Therapiesuche ist ein Projekt mit unklarem Ausgang: Wie auch bei Ärzt*innen kann man besonders gute, aufmerksame, ganzheitlich denkende Behandler*innen finden, und eben genau das Gegenteil. Da sitzt uns da auch nur ein Mensch gegenüber.
Studiert und ausgebildet in der menschlichen Psyche, das ja. Aber mit den eigenen Prägungen, Erlebnissen und Überzeugungen, die sich auch immer ein wenig projizieren lassen. Manchmal also sitzen da ganz schöne Weirdos. Da gibt es die Sage von den Psychotherapeuten, die noch in der Therapie mit ihren Patient*innen eine Beziehung eingehen und das zuvor gesammelte Wissen gegen diese manipulativ einsetzen, um sie gefügig zu halten. Da gibt es Geschichten von narzisstische Therapeut*innen, die ihre Patient*innen emotional auflaufen lassen. Es gibt großartige, heilende Menschen, die einem so sehr helfen, dass man trotz seiner Erlebnisse wieder ins Leben treten kann.
Die Therapieformen in der Psychotherapie – und welche ich ausprobiert habe
Ich bin herumgekommen in der Psychotherapie, das kann man sagen. Ich habe die Psychoanalyse ausprobiert, habe mich bei verschiedenen Verhaltenstherapeut*innen schulen lassen, ich saß in der Gruppentherapie, ich hatte eine tiefenpsychologische Therapie und in den letzten drei Jahren hat mich eine Traumatherapeutin begleitet. In einem Folge-Artikel werde ich auch noch über meine Ausflüge in das Reich der alternativen Therapieformen erzählen. Starten wir doch ganz am Anfang. Es ist ein Mammuttext – aber es ist nun mal meine Geschichte. Also Vorhang auf für die Weirdos, die Heiler und Heilerinnen und Narzissten.
Der Psychoanalytiker – der alte Mann und ich
Die Psychoanalyse ist die von Sigmund Freud entwickelte Therapieform. In häufigen Intervallen, also mindestens ein bis zweimal, oft auch drei bis viermal sitzt (liegt) man ohne Blickkontakt dort und redet unterlass. In den über zehn Sitzungen beim Analytiker wurde ich nur ein paar wenige Male etwas gefragt. Die Traumdeutung kann ein zentrales Stilmittel der Psychoanalyse sein, weshalb mich der überweisende Psychiater herschickte, als ich von meinen Alpträumen erzählte, die gleich nach der Geburt meines Kindes begannen. Von schwerem Kindesmissbrauch. Ich konnte mein Kind damals mit keinem Mann alleine in einem Zimmer lassen, nicht mit dem Kindsvater, nicht mit dem Kinderarzt. Der Analytiker also, dessen Praxis im Souterrain eines alten Rotklinkers ich nun betrat, war irgendwo zwischen den 60er Jahren und den 80er Jahren stehen geblieben, wie diverse Kunst-Ausstellungsplakate an alternden Wänden und seine ebenfalls gealterten Klamotten verrieten. Jetzt saß ich da, in diesem Keller, der nach altem Mann und alten Zeitungen roch, und redete, redete die gegenüberliegende Wand an. Die Wand fest vor Augen, der Mann neben machte den Eindruck, er nicke beständig weg. Drei Wochen ging das so, zweimal die Woche erzählte ich der Wand aus meiner Kindheit und wie es mir seitdem erging. Beim neunten Mal richtete er das Wort an mich. Da sei ja ein klarer Fall von Frühkindlichem-Missbrauch. Auch die Gewalterfahrungen und die Verwahrlosung im Anschluss, der Suizid der Mutter, schweres Trauma. Aber ich habe das zum jetzigen Zeitpunkt gut verpackt, so nickte er. Würden wir jetzt nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern tiefer gehen, könnte mir das sauber verpackte und sorgfältig verstaute komplett um die Ohren fliegen. Er riete mir dazu, das erstmal auf sich beruhen zu lassen. Prima, sagte ich und dachte, ja, dann wird sich das bestimmt legen. Spoiler: hat es nicht.
Der erste Burnout – ab in die Tiefenpsychologische Therapie
Mutter zu sein hat meine Psyche stark gefordert, durch die Geburt erlebte ich eine Re-Traumatisierung und war permanent überlastet, mein Nervensystem auf Alarmbereitschaft. Gleichzeitig liebte ich das Kind mit voller Wucht, was eine heilsame Botschaft an das innere Kind gab. Dennoch, als die überfällige Trennung vom Kindsvater kam, freundschaftlich, beidseitig, knallte alles in die Luft. Die Verantwortung war einfach zu viel. Ich bekam Panikattacken, hatte Angst einen Herzinfarkt im Schlaf zu erliegen. Ich schlief deshalb einfach gar nicht mehr. Das ging zwei Monate gut, bis ich in der Ambulanz einer Klinik weinend zusammenbrach. Die Ärztin schrieb mich aus dem Stand heraus krank. Und exakt in dieser Abwärtsspirale ging ich ausgerechnet eine Beziehung mit einem Psychopathen ein, denn ich war das gefundene Opfer für einen Manipulator. Ich gehe hier nicht mehr drauf ein, doch diese Beziehung war schlicht destruktiv AF. Mein aktueller Therapeut, Herr H. war Psychiater und Therapeut für Tiefenpsychologie zugleich. Eine seltene Spezies. Ein Facharzt, der auch therapiert. Der signifikante Unterschied zwischen Psychiater und Therapeut liegt im Studium: Der Psychiater hat zunächst sein Medizinstudium abgelegt, bevor er die Facharztausbildung hinterherschob. Der Therapeut studiert „nur“ Psychologie und Nebenfächer. Oftmals ist ein Psychiater also nur der Mann, die Frau fürs Grobe: die, mit dem Rezeptblock. Mein Herr Dr. H. nun zog den Schluss, den schon zuvor die Freundinnen beim Rotwein-Abend zogen: mit dieser Beziehung rekonstruierte ich die kaputte Beziehung zwischen Mutter und Stiefvater. Mein Partner war eine Kopie des Stiefvaters. Ich war komplett bindungsgestört. Und erstmals wurden Merkmale der Histrionie, eine Art Mechanismus der unbewussten Inszenierung, attestiert. Hier könnt ihr einen Podcast zu dem Thema hören: psy-cast.org.
Bei weitem finden nicht alle Merkmale der Histrionischen Persönlichkeit in mir statt. Doch durchaus, und gerade damals, war ich sehr extravertiert, dramatisch, hysterisch, voller Energie, extrem lebenslustig, und – leider – auch manipulativ. Kleiner Weirdo-Fact: damals grassierte die Schweinegrippe und mit ihr die totale Angst vor einer Ausbreitung der Seuche. Er selber war da etwas Prepper-like und war so nett, mir, damals hochgradige Prepperin mit prall-gefülltem Keller, ebenfalls das heiß begehrte Tamiflu für den Notfall zu verschreiben. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich den eigentlich recht sympathischen Doktor verließ. Ich meinte wohl, mich als geheilt anzusehen. Ein grober Fehler. Wäre ich mal in der schicken Altbau-Praxis geblieben und hätte mich vollständig therapieren lassen. Es dauerte wiederum nur wenige Jahre, bis ich zur nächsten therapeutischen Form überging: der Verhaltenstherapie.
Das Ausbildungsinstitut – Die Therapeutin in Ausbildung
Arme Frau K. Ich war viel zu viel für diese schmale, junge, lebensunerfahrene Person, die mir in diesem kleinen, als Büro gedachtem, Zimmer im Sessel gegenübersaß. Frau K. war der romantische, verspielte Typ. Oft trug sie Blusen mit süßen Motiven, wie fliegenden Vögeln darauf. Ich war bei ihr gelandet, nachdem ich es geschafft hatte, mich aus der destruktiven Beziehung zu befreien, zu trennen, und einen wirklich guten Job als Senior Kommunikationsberaterin in einer der größten Netzwerkagenturen der Welt zu ergattern. Der Job war großartig. Aber ich heillos überfordert. Ich habe ein extrem hohes Verantwortungsbewusstsein, im Job, im Privaten, für alles und jeden. Gerate gleichzeitig schnell in den Zustand der Überlastung. Gleich zu Beginn des Jobs habe ich, eigentlich Teilzeit, 50h-Wochen geschoben. Mit Kind. Es dauerte nicht lange, und ich brauchte Hilfe: Ich war hochgradig suizidal. Da ich von den vorhergehenden Therapien viel mitgenommen hatte und alles gründlich mit Freundinnen besprach, in Tagebüchern hin und her rollte und viel reflektierte, dachte ich: Den Grund von allem kenne ich, ich brauche jetzt eine Hands-on-Mentalität. Da Therapieplätze rar sind, ging ich zu einem Ausbildungsinstitut für Verhaltens-Therapeut*innen. Nach ihrem Studium werden Therapeut*innen hier in ihre ersten Therapien geschickt, immer mit einem Supervisor im Rücken. Wie so ein Azubi beim Friseur. Das klappt oft super. Bei uns hat es so gar nicht gepasst. Die Frau war lieb. Lieb kann ich gar nicht. Nicht mit meinem Trauma-Kaliber nicht. Ich brauche: Hands-on. Sie wand sich geradezu vor Schrecken, wenn ich von meinen Suizidgedanken sprach. Eigentlich war irgendwie zu viel für sie, egal, wovon ich sprach. Sie zeigte Schwäche und ich wurde bissig. Deshalb ging ich, ohne Hilfe gefunden zu haben, das war nicht ihre Schuld, sie war einfach nicht geschaffen für Menschen mit Trauma. Es hat einige Jahre gedauert, bis ich wieder zur Therapie sollte. Die Gruppentherapie, das Schreckgespenst für viele.
Gruppentherapie – des einen Leid, des anderen (Sigmund) Freud
Meine erste psychosomatische Reha nach einem fulminanten Zusammenbruch, der mich bis heute begleitet, fand 2017 in einer Potsdamer-Klinik statt. Im Blogpost „Mit Burnout auf psychosomatischer Reha“ könnt ihr das nachlesen. Eine signifikante Therapiemethode dort ist die Gruppentherapie. Dreimal die Woche eine Stunde, im Mottoraum, wir waren „Am Strand“. Da saßen wir neben der Fototapete im Kreis mit 12 Leuten und zwei Therapeuten. Auf die typische Frage „Wie geht es dir heute“ wurde brav geantwortet, ein einfaches „gut“ wurde nicht akzeptiert, wir sollten lernen, zu spezifizieren. Heute habe ich gut geschlafen, ich fühle mich ausgeruht. Oder, heute Nacht habe ich wieder Angst bekommen. Und dann wurde daran angesetzt. Im Grunde kann, wer aufmerksam zuhört und seine eigenen Rückschlüsse auf sich selber zieht, ein/e jede/r davon profitieren. Wer mit verschränkten Armen im Stuhl hängt und seinen Tagträumen nachgeht, profitiert nicht: Die Gruppentherapie lebt von der aktiven Teilnahme und Wertschätzung den Erfahrungen anderer gegenüber. Dieses „ich bin damit nicht alleine“ ist das maßgebliche Output dieser Therapieform. Viele Menschen haben Angst vor einer Gruppentherapie, trauen sich entweder nicht, von ihren schlimmen Erlebnissen zu berichten, weil es wehtut oder weil sie Angst haben, nicht ernst genommen zu werden. Ich hatte maximal stumme Personen in der Gruppe, redselige Leute und auch eher nicht so sympathische Menschen, bei denen der Therapeut dann auch eingriff. Es ist ein geschützter Raum. Traut euch: Der Schmerz lässt nach, je mehr wir darüber reden. Und ich habe die Gruppe nur und ausschließlich mitfühlend erlebt. Und die wahre therapeutische Arbeit passiert dann sowieso zwischen den Stunden. In einem selbst.
Die Verhaltenstherapie – Inklusive Therapeuten-Wechsel
Klar, beim Zusammenbruch suchte ich sofort nach einem Therapieplatz und bekam einen bei einer gestandenen, hippi-esken Verhaltenstherapeutin. Frau B. war groß und füllig, präsent und auch ein bisschen laut. Was mir auf Anhieb gefiel. Sie trug wallende Gewänder und in ihrer Praxis stand überall Klimbim. Ich mochte ihre unkonventionelle Art mit Ecken und Kanten. Zunächst. Aber irgendwann drehte sich das, denn sie begann, mich penetrant aufzufordern, eine ganz große Wut auf meine Mutter zu entwickeln. Die ich nicht mehr hatte. Meine Wut auf die Mutter und die Welt hatte ich schon in den Jahren davor immer wieder durchlebt, und schlußendlich verarbeitet. Ich habe ihr verziehen, indem ich lernte, ihr eigenes Schicksal wahrzunehmen. Aber Frau B. wollte unbedingt, dass ich Wut empfinde, und keinen Frieden. Äh, weird? Sie brüllte schließlich „habe meine Mutter mich ja auch vollgepisst und verwahrlost in die Schule geschickt“, da müsse ich doch wütend sein! Ja, war ich auch, aber etliche Jahre zuvor. Auch meinen Unwillen der gesprochenen Meditation gegenüber war sie nicht aufgeschlossen. Sie bat mich immer wieder, mich gedanklich in „den Schoß der kosmischen Mutter zu legen“. Und ich versteifte. Nee, dachte ich. Das kann es nicht sein. Als sie relativ unprofessionell und hektisch EMDR an mir ausprobierte, ohne mir zu erklären, was sie da macht und mir sagte, jetzt solle mein Trauma weg sein, habe ich die Krankenkasse angerufen, und um einen Wechsel gebeten. Das ist nicht so selbstverständlich und war ein kleiner Aufwand, der sich aber lohnte.
Verhaltenstherapeut Herr L. war gerade frisch in seiner Praxis niedergelassen, jung und dynamisch. Ich fand den Mann grundsympathisch und sehr agil. Er arbeitete mit mir mehr wie ein Coach, das gefiel mir gut. Hands-on-Mentalität, ihr wisst. Wieder eine Altbau-Praxis, großer, heller und luftiger Raum, im Wartezimmer viele Ausgaben der GEO. Und bei Herr L. im Raum: das White-Board. Anhand dessen wir stundenlang gearbeitet haben. Er hat direkt verstanden, ich mag die nüchterne Ansprache, mag konkrete Handlungsvorschläge oder die Herleitung, warum jetzt was wie in mir funktioniert. Also arbeiteten wir meine inneren Anteile in mir heraus. Jeder Mensch hat diverse Anteile in sich, die aus den Prägungen der Kindheit und des Erwachsenwerdens entstehen. Meine malte Herr L. nun an das Board, und wir arbeiteten mit diesen Anteilen. Stell dir das wie eine Mannschaft vor, die in die lebt. Mal nimmt jemand das Ruder in der Hand – und mal schnellt jemand aus der Vergangenheit hoch und übernimmt die Steuerung, ist aber eigentlich gar nicht dazu berufen. In meinem Fall: mein verlottertes, inneres, überfordertes Kind. Ein inneres Kind sollte nicht die Führung übernehmen. Herr L. hat mit mir das Thema der „Radikalen Akzeptanz“ erarbeitet. Radikal kann ich, Akzeptanz habe ich als Lebensmotto sogar eintätowiert.
Eine Sache war weirdo: Herr L. vertraute unserer Beziehungsebene nicht. Er musste sich ein aufs andere Mal versichern, dass ich seine Therapievorschläge auch annehme, sie nicht abwehre. Ich bin ein ziemlicher Besserwisser und hatte ja auch schon viel Erfahrung. Das irritierte ihn, doch als ich mir angewöhnte, ihm viel Sicherheit zu geben, indem ich mich für die Tipps bedankte und ausprobierte, fand er mehr Sicherheit. Ob er damit mal zur Therapie gehen sollte? Spaß. Herr L: hat mir großartig geholfen und war wirklich toll zu und mit mir. Doch eins wurde schnell klar: Meine Traumata habe ich noch nicht verarbeitet.
Healing beim Healer – Vier Jahre Traumatherapie-Erfahrung
„Sie haben alles gelernt, was man lernen kann und haben alles ausprobiert, was man nur ausprobieren kann,“ sagte Trauma-Therapeutin Frau K. in unserem allerletzten Therapiegespräch. Ich war gerührt, hat sie doch a) meinen Trigger, nie gelobt worden zu sein mehr als besänftigt und mir b) damit bestätigt, dass ich selber viel an mir gearbeitet habe. Ich reflektiere mich so intensiv, und dass schon so lange, dass ich mich wirklich gut kenne und wirklich gut mit mir bin. Und zu mir bin. Kurze Rückschau: Auf meiner zweiten Psychischen Rehabilitation 2021 hatte mir die leitende Ärztin dringend zu einer Traumatherapie geraten, ihr wäre ein stationärer Aufenthalt am Liebsten gewesen. Sie war sich sicher, dass unverarbeitete Traumata Grund für meine hohen Erschöpfungsgrad sind. Denn wegdrücken, wegsehen, wegschieben – das kostet Kraft. Aber, siehe oben, ich kenne mich gut, ich wusste, Traumatherapie ist eine gute Sache, aber ich brauche keinen stationären Aufenthalt. Ich kenne meine Traumata, da springt mich kein Monster mehr aus einem verschlossenen Schrank im Dunkeln an. Also begab ich mich nach der Reha auf die Suche. Anhand dieser Liste von der Webpage des Deutschen Instituts für Traumatherapie bin ich alle durchgegangen. Alle. Und ich hatte unfassbares Glück, denn Frau K. hatte ab August 2021 einen Platz zu vergeben. Also trafen wir uns zum Erstgespräch. Wir haben vier sehr intensive Jahre durchlebt, denn während unserer Therapie standen wir nicht im luftleeren Raum: Eine direkte Angehörige wurde schwerkrank. Und ich musste pflegen. Dabei war ich ja selber ein Pflegefall. Also quasi. Ich war einfach nur raw und jede weitere Katastrophe (Corona, Angriffskrieg gegen die Ukraine) war eine weitere Ladung Salz in meine offenliegenden Nerven. Frau K. hat exakt den richtigen Ton bei mir getroffen. Sie hielt immer die professionell gebotene Distanz, schaffte dennoch eine Verbindlichkeit und Zuwendung, ohne klischeehaft zu sein. Kalendersprüche gab es hier nicht. Auch Wut, Aggression und meinen inneren Anteil der Manipulatorin, der durchaus nicht klein ist in meinem Team, durfte hier sein. Ich schäme mich wie gesagt nicht, ich geniere mich aber für diesen Anteil. Aber dieser Anteil entstammt nun mal von der Bösartigkeit meines Stiefvaters. Wie so ein abgesprungener Teil von Lord Voldemort auf Harry überging, so ging das auf mich als Kind über. und der Anteil hat auch einen Teil zum Überleben beigetragen. Was haben wir nicht alles ausprobiert, Frau K. hat dankenswerterweise schnell verstanden, wie ich ticke, und Techniken, die bei mir nicht gehen, auf den „Unnütze-Methode-bei-dieser-Patientin“-Haufen geworfen. Visualisierung-Meditation? I hate. Ich werde richtig aufmüpfig, aggressiv. Wo andere Patient*innen Halt finden, Hilfe und Ruhe, werde ich störrisch, wehre mich. Warum? Mein Geist verschließt sich vor fremdem Einfluss. Weshalb Suggestion oder Hypnose bei mir so gar nicht funktioniert. Schon gesprochene Meditationen machen mich aggressiv. Sie also hat individuell behandelt und nicht nach Schema F. Wir probierten EMDR aus, dieses Mal professionell, Frau K. ist zertifizierte EMDR-Therapeutin. Das sogenannte Eye Movement Desensitization and Reprocessing wurde in den 1980ern von Dr. Francine Shapiro entwickelt, als sie zufällig beim Laufen einen Effekt bei der rhythmischen Bewegung und Lichteinfall merkte, wie sich bei ihr psychische Anspannung löste. Ich saß also bei Frau K., zertifizierte EMDR-Therapeutin, im gemütlichen Therapiezimmer, hörte ein Klack, Klack auf den Ohren und führte mir eine der vielen Prügelattacken meines Stiefvaters vor Augen. Bei mir hat es nicht durchschlagend gut funktioniert, aber wir haben bemerkt, dass der rhythmische Ton meinen Geist beruhigt hatte. Ich sage euch, angesehen, beäugt, intensiv in Scheibchen zerlegt und wieder zusammengesetzt habe ich diese Trauma-Situationen einfach so weit verarbeitet, wie nur möglich. Und mehr geht nicht, der Rest bleibt bei mir. Und auch das hat sie bemerkt. Frau K. hat sich viel mehr dem Umgang mit diesen daraus resultieren Störungen zugewandt. Der Phonophobie beispielsweise.
Meine Störung wird bleiben – aber der Umgang damit wurde verändert in diesen Therapiesitzungen. Zentraler Punkt der Therapie war auch, sich immer wieder zu verinnerlichen, es gab auch gute Zeiten meiner Kindheit. Richtig gute Seiten. Das war in mir ja auch schon verankert, doch Frau K. hat es nochmal mehr verstanden, diese Zeiten hervorzuholen. Sie ist ein großer Supporter meiner kindlichen Freude, wie das endlose Durchstöbern von Kinderbuch-Antiquariaten, nach meinen ganzen alten, geliebten Kinderbüchern. Das füttert den Anteil der kleinen Julia mit Spaß, sodass eben ein Teil der bösartig zugefügten Schmerzen verblasst. Nicht weggehen, aber verblassen. Von all meinen Therapieerfahrungen, war dies die Beste. Liebe geht raus an Frau K.
Positive und negative Erfahrungen mit Therapeut*innen: Was nehme ich mit?
Selbst ist der Mensch. Ohne meine intensive Auseinandersetzung mit mir selbst, Gesprächen mit Freund*innen, der kompletter Offenlegung in der Therapie wäre ich heute nicht so weit, wie ich es bin. Ich bin nicht geheilt: Meine Phonophobie wird immer ein Stück von mir bleiben, meine Erschöpfung wird nicht mehr weggehen. Ich werde immer schnell hochtourig fahren und meinen Anteil der inneren Top-Managerin aktivieren. Aber ich weiß jetzt, wann, was, wieso passiert und wie ich bestenfalls damit umgehen kann. Therapie ist hilfreich, aber nur dann, wenn man den/die richtige Person trifft. Die Beziehungsebene ist der entscheidende Faktor. Hier ein kleiner Fragebogen für dich, du kannst ihn dir als Bild speichern und dann drucken:
Die Therapiesuche: Ein Fragebogen für dich
Wie ist mein erster Eindruck des/derjenigen, regt sich Widerstand oder fühle ich mich wohl?
Fühle ich mich in der Umgebung wohl, oder ist der Raum für mich nicht geeignet (Hall, dunkel, zugestellt, oder zu neutral)
Mag ich diese Person, kann ich ihr mein Innerstes anvertrauen?
Höre ich gerne die Stimme, die Art zu sprechen?
Verstehe ich die Aussagen des/der Therapeut*in, kann ich ihnen folgen?
Formuliert die Person klare Ziele, denen ich folgen kann, oder ist die Therapie eher ein Herumstochern im Nebel?
Habe ich das Gefühl, mein Gegenüber nimmt sich ausreichend Zeit für meine Antworten, ohne eine eigene Agenda durchzurauschen?
Das ist natürlich nur als Anregung zu verstehen. Mach dir gerne selber klar, was dir wichtig ist, wenn du zur Therapie gehst. Was erwartest du von der Therapie, und kann diese Person das erfüllen. Scheu dich nicht, sonst Rücksprache mit der Krankenkasse zu halten und den Therapeuten/die Therapeutin zu wechseln. Es ist deine ganz individuelle Therapie. Sei gut zu dir!
Du hast skurrile Therapieerfahrungen? Erzähl uns hier (anonym) davon! ⬇️