rant: dm verkauft jetzt Sheglam von Shein – und ich hasse es
Meinungsbeitrag I Direkt mal ein Hinweis: Hier geht es einerseits um die exklusive Kooperation zwischen dm und der Make-up-Marke Sheglam des chinesischen Ultra Fast Fashion Anbieters Shein. Es geht aber auch um den neusten Skandal von Shein, die bis letzten Samstag noch Kindersexpuppen im Verkauf hatten. dm trägt dafür natürlich keine Verantwortung – wohl aber dafür, sich überhaupt zu entscheiden, mit so einem Unternehmen überhaupt erst zu kooperieren. Trotz aller internen und externen Kritik, Warnungen und gut belegten Vergehen.
Ich habe schon lange nicht mehr gerantet, aber in mir wütet es. Seit ich durch dieses Video von Alicia Joe (ohne Social Media bekomme ich alles zeitverzögert mit) darauf stieß, dass ausgerechnet meine Lovebrand dm jetzt Sheins Tochtermarke Sheglam ins Sortiment aufgenommen hat, will ich nur noch schreien. Ich verabscheue Shein so sehr, getoppt nur von temu. Ich verurteile Shein scharf: es gibt nicht nur Vorwürfe und Berichte über Kinderarbeit bei Zulieferbetrieben, sondern auch über horrende Umweltverschmutzungen des Konzerns, Urheberrechtsverletzungen durch das fortwährende Kopieren von Fremddesigns, Dumping-Preise, falsche Lizenzierungen und Verletzungen von Auflagen und katastrophale Arbeitsbedingungen in Sweatshops. Und ganz neu: der Verkauf von Kindersexpuppen, der jetzt zwar durch die Protestwelle in Frankreich eingestellt wurde, aber alles, einfach alles über dieses Unternehmen aussagt.
Und ausgerechnet mein helles, freundliches, sauberes, nachhaltig-agierendes dm kooperiert mit diesem ultra schmutzigen Unternehmen?
Christoph Werner schreibt in der WiWo und ich werde nur noch wütender
Ich bin nicht blöd. Ich habe 25 Jahre Kommunikationsarbeit hinter mir. Sowohl Beauty-PR, als Lifestyle-PR, als die Unternehmenskommunikation und Social Media-Beratung und Krisen PR waren mein fucking täglich Brot. Ich habe zusätzlich ein Akademie-Studium in nachhaltiger Unternehmenskommunikation abgelegt. Geschäftsentscheidungen sind mir wohlbekannt, auch die unbequemen, die, die wehtun. Ich habe dazu die Kommunikationskonzepte geschrieben.
Wenn der dm-Geschäftsführer Christoph Werner in seiner Kolumne in der WirtschaftsWoche über dieses Thema berichtet, dann ist das wohl Teil einer gut durchgespielten Krisen-PR-Strategie. Die wahrscheinlich bereits ausgearbeitet wurde, bevor man mit der Einlistung von Sheglam begann. Denn Unternehmenskommunikation muss die Sprachregelung im Krisenfall vorher festlegen und die Kommunikation im Außen bestmögliches lenken können, also die Narrative selbst bestimmen. So eine Kolumne kommt dann hübsch. Alle Plattitüden können dort eingewebt werden. Vor allem in der großen WirtschaftsWoche, große Reichweite, vertrauenswürdiges Medium. Toll!
Ich also bezweifele, dass Werner selbst schrieb, vielmehr ein Krisen-PR-Texter mit Briefing. Verzeiht, wenn es doch er war. Auch gefällt mir nicht, dass in der Kolumne von „dem Sortimentsmanagement, das die Entscheidung traf, Sheglam zu listen“ gesprochen wird. Geschickte Sprache, denn so wird die Verantwortlichkeit, die klar in der Führung eines Unternehmens liegt, in eine anonyme Abteilung verlagert. Das klingt dann so vage zugehörig, als gehöre sie gar nicht zum Unternehmen. Tut sie aber. Und berichtet an die nächsthöhere Abteilung. Sicher die Geschäftsführung. Lol.
Auch im dm-Newsroom wird getrickst. Hier wird die Kolumne der WiWo mit einer Pressemeldung begleitend vorgestellt. Aber man spricht hier von „die vereinzelt geäußerte Kritik an der Listung der asiatischen Kosmetikmarke Sheglam bei dm“. Dabei gab es massive Kritik. Dazu später mehr.
Allein, ich habe natürlich keine Ahnung. Nur eine Meinung. Ich weiß nicht, wie es zur Einlistung kam. Weiß nicht, ob dm sich dazu entschied, Müller den Rang abzulaufen, die bisher die Drogeriekette mit dem großen Kosmetik-Angebot von Premium zu günstig war. Denn was ich verstehe, ist, dass Sheglam sich gar nicht als Billig-Brand versteht. Sie sind gar nicht günstig, vergleichbare Ware ist oft 2 bis 3 Euro günstiger. Sheglam kooperiert mit großen Filmstudios, wirbt mit Nachhaltigkeit und cleanen Inhaltsstoffen. Sie sehen sich als Big Player zu moderaten Preisen.
„Bei dm werden wir gerade mit grundsätzlichen Fragen zu unseren Werten und unserer Haltung konfrontiert. Denn unser Sortimentsmanagement hat sich entschieden, im Oktober die chinesische Schönheitsmarke Sheglam ins Sortiment aufzunehmen. Sheglam ist online bereits sehr erfolgreich und auf TikTok folgen der Marke Millionen von Menschen. Unserem Sortimentsmanagement war nicht entgangen, dass China auch in der Kosmetik schon lange nicht mehr die verlängerte Werkbank des Westens ist, sondern Trends dort aufgegriffen und mit hoher Geschwindigkeit in Produkte umgesetzt werden, die dann auch in unseren dm-Märkten auf eine große Kundennachfrage treffen. “
Interessant hier ist der Satz „sondern Trends dort aufgegriffen und mit hoher Geschwindigkeit in Produkte umgesetzt werden“. Das ist der Fall. Shein werden gar mafiöse Strukturen vorgeworfen. Dies aber scheint die Manager*innen bei dm nicht anzufichten.
TikTok Zahlen versus Moral
Wichtig hingegen: die zehn Millionen TikTok-Follower*innen:
„Sheglam ist online bereits sehr erfolgreich und auf TikTok folgen der Marke Millionen von Menschen. (…) Wenn viele Menschen eine Marke nachfragen, geht es im Kern um den Wert der konsequenten Kundenorientierung, der bei dm ganz weit oben steht.“
Okay. Wie kommen die Follower*innen denn zusammen? Ein Vergleich: Die AfD ist bei den deutschen Parteien mit Abstand am erfolgreichsten bei TikTok. Erst gerade wurde von der Bertelsmann-Stiftung eine Studie vorgelegt, die zeigte, dass gerade populistische Parteien vom Algorithmus profitieren konnten. Warum? Das weiß im Endeffekt nur die Zentrale des, hüstel, chinesischen Unternehmens. Dass eine chinesische Firma wie Shein, hüstel, auf TikTok grandiose Zahlen vorweisen kann, liegt also nicht nur an den ach-so-nachgefragten-Produkten. Es liegt an Millionen von Dollars, die in Kooperationen mit Influencer*n versenkt werden, an Millionen von Budgetgeldern, die in bezahlte Social Media Werbung fließen und letztlich auch am Algorithmus. Alice Weidel zählt knappe 1 Million Follower*innen, Habeck hatte dagegen nur um die 100.000. Soll ich mich jetzt nach Alice Weidel richten? Damit dieser Blog mehr Zahlen generiert, wo es doch so nachgefragt wird? Junge Männer wollen die AfD, junge Mädchen wollen Sheglam. Ergo: ich stelle meine Ausrichtung jetzt auf AfD und Sheglam um. Und werde so erfolgreich.
Nein, natürlich nicht. Ich habe auch keine tausenden Angestellte, muss keine Ladenmiete zahlen und Marketingkosten tragen. Ach ja, ganz vergessen: Manager*innen Boni gibt es bei mir auch nicht. Hätte dm gesagt: Wir müssen uns breiter aufstellen, bleiben bei unserem Kern, der Nachhaltigkeit und der Verantwortung, müssen aber auch andere Marken mit in unser Portfolio aufnehmen, um gewinnbringend zu bleiben – ich hätte es deutlich besser schlucken können. So aber nicht.
Was dm sagt – und was dm tut
Wenn ein Player wie ihr bei dm euch bei der „Einlistungsentscheidung“ von harten Zahlen, Daten, Fakten führen lässt, dann macht diese Einlistung keinen Sinn. In euren eigenen (!) Kommentarspalten im Online-Shop steht „bei den Preisen bestelle ich lieber bei Shein selber“. Sheglam ist nicht nur teurer als bspw. die bei Influencer*innen beliebte günstige Marke essence, sie ist auch noch – leicht kopierbar! Warum schafft ihr nicht einfach Alternativen, kooperiert mit Beiersdorf, beauftragt eine große Social Media Agentur, die euch mithilfe der größten Influencer*innen kreative Kampagnen stricken und kauft euch in die Algorithmen ein. Schafft selber Hypes. Schafft europäische Alternativen. Kooperiert mit Boots UK oder Marks & Spencer. Das Gekrieche vor chinesischen Marken und Investoren hat auch eine europaweite, politische, anti-demokratische Wirkung. Ich wüsste da, wer euch helfen kann: Tina Müller hat Opel umgeparkt, Douglas renoviert und verjüngt jetzt Weleda. Die weiß, wie es geht.
Shein ist unmoralisch und das gilt auch für Tochterunternehmen
Nun, diese Aussage aus dem Leitbild von dm steht im krassen Gegensatz zu den vielen, vielen aufgedeckten Arbeitsrechtsverletzungen von Shein.
Die von dm wussten das, sie haben sich ja auf diesen Shitstorm vorbereitet. Aber vielleicht ist das noch nicht allen Leser*innen so klar:
Reuters hat Shein in einem Bericht vorgeworfen, gegen der Modern Slavery Act verstoßen zu haben, der Zwangsarbeit verhindern soll. Tatsächlich gibt es haufenweise solcher Vorwürfe, die Shein immer wieder von sich weist, oder berichtigen möchte.
Illegale Arbeitszeiten und Akkordlöhne bei den Arbeiter*innen wurde laut publiceye.ch aufgedeckt. Auch nach zwei Jahren spiegelte die fortdauernden prekären Arbeitsbedingungen wider, obwohl Shein Besserung versprach. Zudem werfen undurchsichtige Finanzen und der von der Bildfläche verschwundenen Gründer ein weiteres schlechtes Bild auf.
Kinderarbeit bei Zulieferern wurden aufgedeckt.
Greenpeace fand in Laboruntersuchungen gefährliche Chemikalien, die Mensch und Umwelt schaden.
Ihr wollt mehr? Das ganze Internet ist voll von Shein Skandalen.
Von Kinderarbeit zu Sweatshop-Betrieben: wer billig kauft, kauft immer Leid mit. Shein macht das als System. Und ausgerechnet mein dm mit Sauberimage findet das okay genug, weil „junge Konsument*innen sich diese Brand wünschen“? Bei aller Liebe. Am Ende bleibt ein Lipgloss nur ein Lipgloss nur ein Lipgloss. Ein herber Imageschaden aber kann verheerende Folgen haben.
Last but not least: Der Shein Kindersexpuppen-Skandal
„Wichtig ist mir, dass Werte nicht undifferenziert Verbotszonen abstecken, in denen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Sachverhalten dogmatisch nicht mehr toleriert wird.“
Shein hatte bis vorigen Samstag Kindersexpuppen für pädophile Kund*innen im Angebot. Ich wiederhole: Sexpuppen für Pädophile. Laut Watson.ch war diese Puppe 80 cm hoch, mit Teddy. Und: mit richtiger Vagina und Anus. Kostenpunkt: 189,64 €. Ein Schnapper, oder?
Das hätte die dm-Geschäftsführung im Vorfeld sicher ganz leicht recherchieren können, mit wem sie da genau ins Geschäft einsteigt. Einfach mal das Online-Angebot einsehen.
Die Headline der WirtschaftsWoche Kolumne „Wir müssen Produkte anbieten, die unsere Kunden nachfragen“ hat da auf einmal einen ganz anderen Klang. Selbstverständlich: dm würde sich niemals thematisch auch nur in die Nähe von Masturbationspuppen bewegen, vor allem keine Kinderpuppen. Ich gehe sogar davon aus, dass die dm-Geschäftsführung die Kooperation gerade bereut, als ggf. ohnehin schon. Sollte der Abverkauf nicht stimmen. Aber – kooperiert, bleibt kooperiert. Dabei hatte der seit den 70er Jahren in Frankreich sehr erfolgreiche Konzern Agnés b sogar ihre Ladengeschäfte gekündigt, nachdem Shein jüngst in dem BHV-Gebäude in Paris ihren ersten Flagship-Store eröffnen sollte. Aber so ist das. Der eine hat grundfeste Werte, der andere, äh, versteht seine Werte im Wandel.
Wo sind all die Werte hin, wo sind sie geblieben?
Ich kann einfach nicht begreifen, wie sich ein so werteorientiertes Unternehmen mit so einem schäbigen Anbieter kooperiert. Zumal sich die eigenen Mitarbeitenden scharf gegen die Einlistung gestellt haben. Für die gab es dann eigens produziertes Video, zur Erklärung. Oder zur Rechtfertigung? Unter einem Reaction-Video zum Thema „Sheglam x dm“ gab es folgenden Kommentar einer Mitarbeiterin zu lesen:
Viele Mitarbeiter haben ihre Kritik dem Geschäftsführer gegenüber geäußert, allerdings gab es immer wieder E-Mails an uns und sogar ein intern erstelltes Video nur für uns Mitarbeiter, wo er uns „erklärte“ (sich rechtfertigte, meiner Meinung nach), warum er sich doch für den Launch entschieden hat.
Okay, Kund*innen, Medien, Influencer*innen und die eigenen Mitarbeiter*innen stellten sich gegen diese Einlistung. „Einige wenige“, wie die dm-Pressestelle schrieb.
Fazit: Wie ich jetzt zu dm stehe
Ich beispielsweise weiß nicht, wie ich damit jetzt umgehen soll. Auf meinem Redaktionsplan stand ein dm Alverde-Post, wie immer unbezahlt, ich beziehe meine Alverde Produkte selber. Ich wollte den Post über die Alverde Produkte in Bezug auf, ach, erzähle ich jetzt gar nicht mehr. Wozu dm gerade noch eine Werbefläche bieten. Post ist gestrichen. Redaktionelle Unterstützung auch.
Ob und in welchem Rahmen ich Kundin bleibe, weiß ich noch nicht. Aber eines weiß ich: ab sofort werde ich hier noch mehr Fokus auf Naturkosmetik-Marken aus dem hochwertigen Segment legen. Ich werde noch mehr Bezugsquellen für diese hochwertigen Marken vorstellen. Werde noch mehr Argumente vorlegen, wieso Werte, Verantwortung und natürliche Produkte wichtig sind. Warum weniger, dafür hochwertig und langlebig, mehr ist. Und warum Wegwerf-Mentalität, mit (Kinder-)Sklavenarbeit und hoher Umweltbelastung hergestellt, unmoralisch ist. Auch für junge Menschen. Jetzt und für immer.
P.S. Christoph Werner darf hier gerne eine Kolumne schreiben. If he dares …